Lektion 1: Grammatik

1 Nomen

(a) Geschlecht

Kantonesisch Wörter haben kein grammatisches Geschlecht. Sie werden also nicht in eine männliche, weibliche und sächliche Gruppe eingeteilt. Dies ist genauso wie im Englischen, wo es ja bei den Nomen auch keine Unterschiede gibt. (Alle Nomen haben den gleichen Artikel the oder a.) Während jedoch im Englischen das Geschlecht bei den Personalpronomen unterschieden wird (he, she und it), fehlt die Unterscheidung im Kantonesischen gänzlich (s.u.).

Auch einer Berufsbezeichnung kann man anders als im Deutschen (wo die Endung -in auf eine weibliche Person hindeutet) im allgemeinen nicht unmittelbar entnehmen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. louxi kann ein Mann oder eine Frau sein, in der Übersetzung also Lehrer oder Lehrerin.

(b) Numerus

Kantonesisch kennt keinen Unterschied zwischen Einzahl (Singular) und Mehrzahl (Plural). Die Mehrzahl von der Lehrer louxi, also die Lehrer lautet z.B. genauso, also louxi.

Kantonesisch gehört zu den Sprachen, die keinen Plural am Wort selbst bilden können. Pluralität kann, wenn nötig, stattdessen durch zusätzliche Wörter innerhalb eines Satz, die sogenannten Klassifikatoren (abgekürzt KL) zum Ausdruck gebracht werden. Diese Klassifikatoren stehen wie die Artikel in europäischen Sprachen vor dem Nomen.

(c) Artikel

Das Kantonesische kennt keine Artikel, weder bestimmte Artikel: der, die, das noch unbestimmte Artikel: ein, eine, ein. Ein Satz wie Nei go hei (yed go) louxi., wörtlich: «dies KL sein (eins KL) Lehrer.» kann also «Das ist der Lehrer.» oder «Das ist ein Lehrer.» bedeuten. Welches die richtige Übersetzung ist, ergibt sich durch den Kontext, d.h. den Bedeutungszusammenhang des Gesprächs oder des Textes, in dem der Satz steht.

Allerdings hat Kantonesisch wie auch das Chinesische sogenannte Klassifikatoren (Abkürzung: KL), die vor dem Nomen stehen, und die je nach Bedeutung des Nomens unterschiedlich sein können. So haben beispielsweise «Buch», «Lehrer» und «Tisch» unterschiedliche Klassifikatoren:

Nei go hei yed go louxi.dies KL sein eins KL Lehrer = Das ist ein Lehrer.
Nei go hei yed bun sü.dies KL sein eins KL Buch. = Das ist ein Buch.
Nei go hei yed zön toi.dies KL sein eins KL Tisch. = Das ist ein Tisch.

2 Pronomen

(a) Personalpronomen

Die Personalpronomen im Kantonesischen weisen im Unterschied zum Mandarin-Chinesischen keine Differezierung der 3. Person Singular auf. Hier lautet das Pronomen unabhängig vom Geschlecht immer gleich. Eine weitere Besonderheit der kantonesischen Personalpronomen ist, dass sie im Augenblick sehr stark vom Lautwandel betroffen sind. Die neueren Formen, die insbes. im Fall der 2. Person schon sehr häufig benutzt werden, stehen in Klammern.

ngo (o)(ich)ngodei (odei)(wir)
nei (lei)(du)neidei (leidei)(ihr)
keu (heu)(er,sie)keudei (heudei)(sie)

Anders als in vielen europäischen Sprachen gibt es keine Höflichkeitsform bei der Anrede der 2. Person (wie z.B. das höfliche deutsche «Sie»). Ähnlich wie im Englischen werden alle Personen mit der gleichen Form, also mit «du» angeredet.

Zu beachten ist auch, dass die 3. Person Singular und Plural meist nur für Personen oder Tiere verwendet wird. Für Gegenstände kann sie nicht verwendet werden. Wir schreiben deshalb in der Übersetzung der 3. Person Singular suggestiv auch nur «er, sie».

Betrachten wir die Satzfolge: «Wir sahen ein Auto. Es bog um die Ecke.». Im Deutschen kann das Auto im zweiten Satz durch das Personalpronomen es ersetzt werden. Im Kantonesischen geht das nicht. Hier sagt man stattdessen «Wir sahen ein Auto. Dieses Auto bog um die Ecke.».


3 Das Verb «sein»

Im Kantonesischen werden die Verben nicht in Abhängigkeit von Person und Numerus gebeugt (konjugiert). Das Lernen von Paradigmen bei den Verben ist also nicht nötig. Trotzdem schreiben wir das Paradigma für das Hilfsverb sein einmal auf. Im weiteren verzichten wir darauf.

(a) Präsens von «sein» (affirmativ):

ngo hei(ich bin)ngodei hei(wir sind)
nei hei(du bist)neidei hei(ihr seid)
keu hei(er,sie ist)keudei hei(sie sind)

Im (existenz-) negierten Fall tritt das Negationspartikel m- vor das Hilfsverb. Wieder bleibt alles für alle Personen gleich:

(b) Präsens von «nicht sein» (negativ):

ngo m-hei(ich bin nicht)ngodei m-hei(wir sind nicht)
nei m-hei(du bist nicht)neidei m-hei(ihr seid nicht)
keu m-hei(er,sie ist nicht)keudei m-hei(sie sind nicht)


4 Satzbau

(a) Aussagesatz

Der einfache Aussagesatz mit einem Demonstrativpronomen (DemPr) als Subjekt hat die folgende Form. Dabei ist es egal, ob das Prädikatsnomen belebt oder unbelebt ist. KL ist der schon erwähnte Klassifikator, den wir im Deutschen mit "etwas" übersetzten könnten, wörtlich also: «Dieses Etwas ist Lehrer.» oder in gutem Deutsch: «Dies ist ein Lehrer.» Der Klassifikator muss an dieser Stelle im Satz stehen, läßt man ihn fort, ist der Satz kein richtiges Kantonesisch mehr.

SUBJEKTPRÄDIKAT
DemPrKLKopulaNomen
neigoheilouxiDas (dies) ist ein/der Lehrer.
gogoheihagbanDas (jenes) ist eine/die Tafel.

Die Verneinung des Aussagesatzes geschieht, indem vor die Kopula «sein» die Verneinungspartikel «nicht» tritt. Der verneinte Aussagesatz mit einem Demonstrativpronomen (DemPr) als Subjekt lautet also im Beispiel wörtlich: «Das (dies) ist nicht ein/der Lehrer.» In der freien Übersetzung also «Das ist kein Lehrer.» Wir verbinden das Verneinungspartikel in der Umschrift mit einem Bindestrich mit der Kopula um die Zusammengehörigkeit für den Lernenden optisch einfacher zu symbolisieren und schaffen damit eine neue Kopula. (Genau genommen bildet das Negationspartikel eine adverbiale Bestimmung des Prädikats.)

SUBJEKTPRÄDIKAT
DemPrKLKopulaNomen
neigom-heilouxiDas (dies) ist kein/nicht der Lehrer.
gogom-heihagbanDas (jenes) ist keine/nicht die Tafel.

(b) Fragesatz (w-Frage)

Der Aussagesatz kann z.B. die Antwort auf einen Fragesatz sein. Beim entsprechende Fragesatz wird das Subjekt gegen das Interrogativpronomen (IntPr) bin(go)? wer? ausgetauscht. Die Reihenfolge im Satz ändert sich nicht. Fragen wir nach unbelebten Gegenständen benutzten wir das Frageprononmen medye? was?

SUBJEKTPRÄDIKAT
IntPrKLKopulaNomen
bingoheilouxi?Wer ist (der) Lehrer?
medyeheihagban?Was ist eine Tafel?

Fragen wir dagegen nach dem Prädikatsnomen, so nimmt das Fragewort dessen Position im entsprechenden Aussagesatz ein.

SUBJEKTPRÄDIKAT
DemPrKLKopulaIntPr
neigoheibingo?Wer ist das (dieses)?
gogoheimedye?Was ist das (jenes)?

(c) Fragesatz (ja/nein-Frage)

Bei der Satzfrage oder Ja/Nein-Frage wird die Kopula durch die Kombination von Kopula und negierter Kopula ersetzt. Der Satz «Ist das der Lehrer?» lautet also wörtlich «dieses sein-nicht-sein Lehrer?»

SUBJEKTPRÄDIKAT
IntPrKLKopulaNomen
neigohei-m-heilouxi?Ist das (dieses) ein/der Lehrer?

(d) Antwortsatz (ja/nein-Frage)

Im Kantonesischen gibt es keine eigenen Wörter für ja und nein. Die positive Antwort auf eine Satzfrage geschieht durch Wiederholung des Verbs, bei unseren bisherigen Sätzen also der Kopula - eine negative Antwort, durch Wiederholg des negierten Verbs.

heiJa!
m-heiNein!

(e) Aussagesatz mit Personalpronomen

Aussagesätze, bei denen das Subjekt ein Personalpronomen bildet, haben die gleiche Struktur, wie die mit Demonstrativpronomen. Es fehlt jedoch das Klassenzeichen beim Subjekt. Das Prädikatsnomen kann nichts unbelebtes sein. Ein Satz wie: "Es ist ein Auto." ist also im Kantonesischen nicht möglich, man kann nur sagen: "Das ist ein Auto.", dann jedoch entweder "Dieses ist ein Auto." oder "Jenes ist ein Auto."

SUBJEKTPRÄDIKAT
PersPrKopulaNomen
ngoheilouxiIch bin ein/der Lehrer.
neiheihogsangDu bist ein eine/die Schüler.
keuheinongmenEr/sie ist ein ein(e)/der(die) Bauer/Bäuerin.

Für einen Fragesatz ersetzen wir wieder das Prädikatsnomen:

SUBJEKTPRÄDIKAT
PersPrKopulaIntPro
neiheibingoWer/was bist du?
keuheibingoWer/was ist er/sie?

5 Hier und dort

Auch das Kantonesische kennt den Unterschied zwischen näheren neidou «hier» und entfernteren godou «dort» Ortsangaben. Die Worte setzen sich zusammen aus den Demonstrativpronomen nei und go und der Partikel dou «Umkreis».

(a) Aussagesatz

Wir haben die folgende Satzkonstruktion:

SUBJEKTPRÄDIKAT
NomenKopulaAdverb
louxiheineidou.Ein/der Lehrer ist hier.
hagbanm-heigodou.Eine/Die Tafel ist nicht dort. = Keine Tafel ist dort.

Beachten Sie, dass man im Deutschen die Reihenfolge von Subjekt und Prädikatsadverb einfach tauschen kann: «Der Lehrer ist hier. = Hier ist der Lehrer.» ohne die Bedeutung wesentlich zu verändern. Im Kantonesischen ist dies für belebte Subjekte nicht möglich. Rückt die Ortsangabe an den Satzanfang, dann muss noch ein Demonstrativpronomen als Subjekt des Satzes eingefügt werden:

ADV.BESTSUBJEKTPRÄDIKAT
AdverbNomenKopulaAdverbNomen
hogsangheineidou.
neidouneigoheihogsang.

Bei unbelebten Subjekten ist eine einfache Vertauschung der Reihenfolge möglich.

SUBJEKTPRÄDIKAT
NomenKopulaAdverb
hagbanheineidou.Die Tafel ist hier.
neidouheihagban.Hier ist die Tafel.

(b) Fragesatz (w-Frage)

Bei der Frage nach der Ortsposition kommt das Interrogativpronomen (IntPr) bindou? wo? zum Einsatz. Das Pronomen ergibt sich durch Kombination des IntPr bin «wer?» und der Partikel dou. Die Reihenfolge im Satz ändert sich nicht.

SUBJEKTPRÄDIKAT
NomenKopulaNomen
louxiheibindou?Wo ist der Lehrer?
hagbanheibindou?Wo ist die Tafel?

(c) Antwortsatz (w-Frage)

Auf die wo-Frage kann man wie in (a) antworten. Man kann jedoch auch das Subjekt durch das Personalpronomen ersetzen: «Wo ist der Lehrer? -> Er ist hier.». Dies geht jedoch nur bei belebten Subjekten, denn die Antwort: «Wo ist die Tafel? -> *Sie ist hier.» ist im Kantonesischen nicht möglich, da Personalpronomen ausschließlich belebte Nomen ersetzen können.

SUBJEKTPRÄDIKAT
PeProKopulaAdv
keuheineidou.Er ist hier.
*keuheigodou.*Sie ist hier.

(d) Frage- und Antwortsatz (ja/nein-Frage)

Auf die Frage Mengid hei-m-hei neidou? also Ist Mengid hier?, kann man antworten:

Hei. (Ja.)
Hei, keu hei dou. (Ja, er ist da.)
Hei, keu hei neidou. (Ja, er ist hier.)

Oder man antwortet:

M-hei. (Nein.)
M-hei, keu m-hei dou. (Nein, er ist nicht da.)
M-hei, keu m-hei neidou. (Nein, er ist nicht hier.)

(e) Zusätzliche Adverbien

Zusätzliche Adverbien wie heute oder auch werden in den einfachen Satz zwischen Subjekt und Objekt eingebaut.

SUBJEKTADV.BEST.PRÄDIKAT
NomenAdverbAdverbKopulaAdverb
Louxiheigodou.Der Lehrer ist dort.
Louxigamyadheigodou.Der Lehrer ist heute dort.
Louxigamyaddouheigodou.Der Lehrer ist heute auch dort.





Z U R Ü C K



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